Montag, 26. September 2016

Tierleid-Junkies

Unsere Gesellschaft hat wenig Verständnis für Drogenabhängige.
Dennoch bietet sie ihnen Möglichkeiten zur Therapie, Substitution und Resozialisierung.
Alkohol, Heroin, Koks, Amphetamine, alles ist überwindbar, mit etwas Charakterstärke und gutem Willen.
Dass ich selbst von 1991 bis 94 hochdosiert an der Nadel hing, ist kein Geheimnis.
Ich hab dann "einfach" aufgehört (ohne Therapie und Substitution), nachdem ich feststellte, dass ich physisch und psychisch am Ende war.
Während dieser drei Jahre des Opiat-Konsums war ich in der Gesellschaft ein Außenseiter. Beschaffungskriminalität fiel bei mir zwar weg, weil ich mit dem Bemalen von Designerklamotten rund 6000 Mark im Monat machte, aber die verschiedenen Prioritäten und Wahrnehmungen führen zur Diskrepanz. Somit bleiben Junkies unter sich, genauso wie die "Normalen" und "Gesunden".
Nach erfolgreicher Selbstresozialisierung, die ohne ein paar alte Freunde um einiges schwerer ausgefallen wäre, war ich wieder ein Teil der "normalen" und "gesunden" Gesellschaft.
Der Konsum hatte aber seine Spuren hinterlassen. Man schätzte mich rund zehn Jahre älter als ich tatsächlich war.
Die vegetarische Ernährung, die während der drei Jahre des Konsums pausierte, nahm ich wieder auf und 2002 erfuhr ich, was es mit männlichen Küken und Kälbern auf sich hat.
Ich hinterfragte, ob ich überhaupt das Recht habe, ein Tier als nutzbar anzusehen und wurde umgehend vegan.
Nachdem ich den Entschluss Freunden mitteilte, arrangierten sie ein Sit-in, um mir zu vermitteln, wie sehr sie um meine Gesundheit besorgt seien. "Eiweißmangel, Muskelschwund, Haarausfall, brüchige Fingernägel, Gehirnschrumpfung, Verschwulung und Impotenz, du spielst mit deinem Leben!"

Seit dem sind 14 Jahre vergangen und alles hat sich komplett gedreht.
Man schätzt mich regelmäßig auf 28 Jahre, maximal 35. Nächsten Frühling werde ich 48.
Die "Gesunden" und "Normalen" sehen auf einmal alt aus. Menschen in meinem Alter könnten meine Eltern sein. Und sie leiden unter einem unglaublichen Suchtverhalten, das ihre Körper, ihren Geist und den Planeten zerstört. Ein Suchtverhalten, das nur befriedigt werden kann, wenn dafür unzählige leidensfähige Individuen gezüchtet, manipuliert, ausgebeutet und ermordet werden.
Dass der regelmäßige Konsum von Tierleidprodukten zu physischer Abhängigkeit führt, kann man nicht leugnen.
Fleisch enthält Stress- und Schmerzhormone. Tiere, die vor ihrem Tod über viele Kilometer transportiert werden und im Schlachthaus bis zum Trauma mit Angst und Schmerzen konfrontiert werden, produzieren sehr viel Adrenalin und Endorphine (körpereigenes Morphium).
Milch und Milchprodukte enthalten Casomorphine. Die sollen eigentlich das Kalb belohnen und beruhigen, finden sich aber hochkonzentriert im Käse für erwachsene Menschen.
"Auf Fleisch könnte ich ja noch verzichten, aber auf Käse..." Tausendmal gehört.
Wo alle guten Argumente verhallen und die psychische Abhängigkeit ("weil es mir schmeckt") trotzig in den Fokus gesetzt wird, ist man von Junkies umgeben.
Für Tierleid-Junkies gibt es keine Therapien und keine Therapeuten, aber viele Werbespots, die ihren Konsum im Gang halten, für eine Wirtschaft, die von ihrer Sucht lebt.

Den meisten Langzeitveganern geht es ähnlich wie mir. Auch sie werden jünger geschätzt.
Manch veganer Misanthrop und Miesepeter schafft es, den ernährungsbedingten Vorteil durch negative Gedanken zu kompensieren und es ernähren sich nicht alle VeganerInnen gesund, aber im Schnitt sehen vegan lebende Menschen jünger und gesünder aus.
Wenn der Verdauungstrakt ein Leben lang mit Art untypischen Verwesungsprozessen befasst ist und der Körper ungesunde Fette und Eiweiße verarbeiten muss, die zu Ablagerungen und Muskelübersäuerung führen, hinterlässt das seine Spuren.
Schwammige Gesichter mit merkwürdigen Dellen, schlaffer, großporiger Haut und kragenabwärts wird es nicht besser. Auch mit normalem BMI sehen sie alt aus.
Da die gleichaltrigen Artgenossen in der Masse genauso verbraucht und scheiße aussehen, fehlt der Vergleichswert, weshalb das Problem nicht als solches wahrgenommen wird.
Für Meth-Junkies gibt es zur Abschreckung "Vorher-Nachher-Grafiken", bei Tierleid-Junkies heißt es nur "so sieht man halt aus, wenn man 47 ist". Gruselig...

Ich habe die wohl härteste Droge der Welt besiegt und realisierte, dass ich von Druffis umgeben bin, die sich viel schlimmer verhalten als meine einstigen Leidensgenossen. Der individuelle und globale Kollateralschaden ihrer Sucht steht nicht in Relation. Ihre Ausreden sind ungleich schwerer nachzuvollziehen.
Mir wurde immer wieder unterstellt, ich hätte viel Charakter, weil ich von dem Zeug losgekommen bin. Wenn dem so ist, frage ich mich, wie wenig Charakter ein Mensch haben muss, wenn er es nicht schafft, von viel schwächer wirkenden Drogen loszukommen, von denen er weiß, dass ihre Produktion auf Freiheitsentzug, Vergewaltigung, Blutvergießen und Umweltzerstörung basiert.
Es gab damals sehr viele Menschen, die auf mich herabschauten.
Jetzt bin ich einer, der auf sehr viele Menschen herabschaut.
Heulsusen und Jammerlappen. Sie dürfen sich gern schämen. Kein Rückrat, keine Eier... Wer keine Eier hat, kauft sich welche.
Tierrechtler können sich als Therapeuten betrachten, die der Masse von vorzeitig gealterten Heulsusen und Jammerlappen einen Spiegel vorhalten und alternative Wege zeigen.
Dabei sollten sie vielleicht öfter auf die verschiedenen Morphine und Adrenalin hinweisen, um den Leuten zu zeigen, dass eine physische und psychische Abhängigkeit vorliegt, die sie im wahrsten Sinne alt aussehen lässt. Wenn diese als solche wahrgenommen wird, führt das hier und da zum Anreiz, sich davon zu befreien.

Ich habe vor 22 Jahren realisiert, dass ich leben will. Wann beginnst Du damit?

Schlunz